
#7 Trabzon — Kemalpasa — Sarpi/Georgien
Ich war also in Trabzon losgefahren, mein Host Yusuf hatte mich an Freunde (Esra und ihren Ehemann) weitervermittelt, die mich für eine Nacht aufnehmen würden, bevor ich die Grenze nach Georgien überqueren würde. Er hatte, bevor ich ihn bei seiner Arbeit abgesetzt hatte, noch die Adresse des Paars in mein Handy getippt — das dachte ich jedenfalls.
Nach 2 Stunden quälte ich mich eine nicht endende Passstraße durch einen malerischen Nationalpark hinauf, links und rechts von mir meterhohe Steinwände, ein Fluss folgte dem Verlauf der Straße und gelegentlich plätscherte Wasser aus kleinen Wasserfällen aus dem Gestein.
Ich kam in einen kleinen Ort, laut Ortsschild hieß er „Ayder“. Ich parkte und rief Esra an, dessen Nummer Yusuf mir gegeben hatte. Sie nahm ab und ich erklärte, dass ich angekommen sei und sie mir bitte sagen solle, wo genau ihr Haus sei. Sie verstand nicht wirklich, was ich wollte, sie könne mich nicht sehen.
Nach 5 Minuten stellte sich heraus, dass Yusuf mich nicht sofort zu Esra schicken wollte, sondern unbedingt vorher noch zum Ayder Nationalpark. Na super, war ich jetzt also 50 Kilometer „umsonst“ gefahren? Und ich musste den Weg ja auch noch zurück…
Ich war ein bisschen wütend, aber dieses Missverständnis war wohl auch unseren Verständigungsproblemen im Hinblick auf die Sprache geschuldet. Ich setzte mich in ein Restaurant und war der einzige Gast. Ich blätterte durch die einfallslose und nicht besonders individuelle Karte und bestellte beim gelangweilten Kellner einen Salat und ein paar Köfte.
Danach lief ich ein wenig durch den Ort. Ich war außerhalb der Ski- oder Sommersaison hier, sodass absolut nichts los war. Es wurden nur ein paar Gebäude renoviert, Baulärm drang von überall her aber auch sonst waren kaum Menschen auf der Straße, höchstens ein paar Spaziergänger. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr, denn so unglaublich schön war die Aussicht und die Natur in Ayder auch nicht, es sah einfach aus wie ein typisches Bergdorf und hätte durchaus auch so in den Alpen stehen können. Außerdem war alles bereits sehr touristisch ausgerichtet, es gab fast nur Hotels, Made-in-China-Souvenirgeschäfte und Restaurants.
Wasser auffüllen
Ich ging zurück zum Auto und verließ das Touristenparadies etwas enttäuscht, war es doch auch irgendwie Zeitverschwendung gewesen. Ich rollte im Auto die Bergstraße hinunter; nach ein paar Minuten erblickte ich auf der rechten Straßenseite eine kleine Sitzmöglichkeit direkt am Fluss. Ich stieg aus und setzte mich auf einen der kalten Steinhocker und aß ein paar Baklava und Kekse, las, schlief ein wenig und machte noch ein paar Fotos, bevor ich schließlich weiterfuhr.
Mein Rastplatz
Ich kam gegen Abend in Kemalpasa an, der letzten Stadt vor der türkisch-georgischen Grenze. Ich rief Esra erneut an, und diesmal war ich tatsächlich im richtigen Ort. Ihr Ehemann holte mich draußen ab und begleitete mich ins Haus.
Wir aßen gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter Soya Abendessen und unterhielten uns über die üblichen Themen, die man als Reisender so bespricht.
Murat, Esras Ehemann, unternahm danach einen kleinen Verdauungsspaziergang mit mir, wobei wir statt zu Fuß zu gehen das Auto nahmen. Wir fuhren zum Hafen um die Ecke, holten uns zwei Tassen Tee in einem nahen Café ab und kletterten über die brandungsbrechenden Steine auf die Kaimauer. Die Sonne stieg langsam in das dunkle Wasser und spiegelte sich in vielfältiger Weise. Ein paar Vögel durchkreuzten das Bild und einige Fischer kehrten von ihrer alltäglichen Fischfangtour zurück. Weiter hinten spielten ein paar alte Männer Würfelspiele, ihr gelegentliches Lachen drang bis zu uns vor.
Als wir unseren Tee ausgetrunken hatten, stiegen wir zurück ins Auto und Murat fuhr durch den Ort Richtung Berge. Er wollte mir seinen Heimatort zeigen. Er jagte die steilen Straßen in seinem kleinen Fiat hinauf, zwischen den zahlreichen Teepflanzen hindurch, enge Kurven entlang. Das Auto ächzte unter dem schlechten Zustand der Straße und den zahlreichen Schlaglöchern, aber Murat drehte einfach nur seine Musik lauter, nahm sich noch eine Zigarette und grinste mich breit an.
Irgendwann bremste er abrupt und wies mich an, auszusteigen. Ich folgte ihm durch ein Dickicht aus allerhand Pflanzen, ehe wir plötzlich auf einer kleinen Lichtung direkt an einem Fluss standen. Das kristallklare Wasser rauschte langsam am kleinen Strand vorbei, vereinzelt lagen Steine im Flussbett.
Murat erzählte mir, dass er als Kind im Sommer immer hier zum Baden herkam und dies teilweise auch noch heute tut. Ich konnte das gut nachvollziehen, war es doch ein unbeschreiblich schöner Ort der Ruhe und Entspannung.
Nach einiger Zeit gingen wir zurück und Murat entdeckte einen Baum, an dem frische Mandarinen hingen. Er blickte sich rasch um und stieg über eine hüfthohe Mauer in den Garten. Er kletterte auf den Baum und begann, die schönsten Früchte auszusuchen, zu pflücken und mir zuzuwerfen. Nachdem meine Hände und meine Taschen voll waren, rasten wir zurück ins Tal. Durch die offenen Fenster wehte die warme Abendluft ins Auto und ich begann, das frische Obst zu schälen. Ich hatte noch nie zuvor so leckere Mandarinen gegessen.
Der Obstdieb bei der Arbeit
Murat parkte das Auto, inzwischen war es recht dunkel geworden. Er holte sein Portmonee aus dem Haus und wir fuhren wieder los, diesmal zu einer Spelunke etwas außerhalb von Kemalpasa. Wir betraten das baufällige Gebäude, kalter Zigarettenrauch schlug mir ins Gesicht.
Wir setzten uns an einen Tisch, an dem bereits drei andere Männer saßen. Murat bestellte mir einen Tee, ich wurde vorgestellt und die Kartenrunde startete. Wir spielten ein paar Runden, Geldscheine wurden je nach Gewinnsituation wild hin- und hergeworfen. Ab und an brachte jemand ein neues Bier.
Ich glaube, für Murat lief es nicht allzu optimal und ich spielte außer Konkurrenz, aber er schien sein persönliches Verlustlimit überschritten zu haben und wir verließen das Kabuff alsbald möglich. Murat sagte mir, ich solle seiner Frau bitte nichts erzählen, sie möge es nicht wenn er sein Geld beim Spielen verzocken würde.
Murats Tanknadel bzw. die Tanknadel von Murats Auto war im tiefroten Bereich, weshalb er sich entschloss zur „Tankstelle“ zu fahren. Diese bestand aus einem dunklen Hinterhof in einer unbeleuchteten Seitenstraße. Er wählte eine Nummer, ließ kurz klingeln und aus einem Schuppen trat ein bärtiger Mann in seinen besten Jahren auf uns zu.
Er und Murat tauschten ein paar Worte aus und der Bartmann schleppte einen schmutzigen Kanister aus dem Schuppen. Er fummelte umständlich einen verbeulten Trichter in die Tanköffnung und ließ den Sprit hineinlaufen. Man erklärte mir, dass dies georgischer Sprit sei, der einmal im Monat literweise über die nahe Grenze geschmuggelt wird, weil der in Georgien deutlich günstiger ist.
Von diesem Vorgang profitieren alle, wurde mir stolz erzählt: Der Tankwart auf georgischer Seite, die bestochenen Zöllner, die Fahrer die die Kanister mitnahmen und natürlich Leute wie Murat selbst.
Das Geschäft wurde abgeschlossen und wir begaben uns nach Hause. Ich war von der ganzen Sache etwas überrascht, denn Murat arbeitet als Lehrer an einer staatlichen Schule.
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Er überredete mich am nächsten Morgen, mit in seine Schule zu kommen. Ich war zunächst nicht davon begeistert, aber willigte letztendlich doch ein.
Als ich das Klassenzimmer betrat, fingen auf einmal die mindestens 40 Schüler an zu schreien. Ich wurde mit Fragen auf Türkisch überhäuft, ständig wurden Selfies gemacht. 40 Minuten musste ich das Ganze über mich ergehen lassen, dann ergriff ich die Flucht. Nie wieder.
Um mich zu beruhigen, kaufte ich mir ein paar frische Backwaren und einen türkischen Kaffee und genoss beides auf der Terrasse vor der Bäckerei. Es war warm und sonnig, vom nahen Meer drang ein leises Rauschen zu mir.
Nach der kurzen Entspannung und einem kurzen Einkauf, um meine letzten türkischen Lira loszuwerden, machte ich mich also zur türkisch-georgischen Grenze auf, vorher aber traf ich mich wieder mit Chrissy und David aus dem weißen Bulli. Wir fuhren mal wieder im Konvoi und kamen an der überfüllten Grenze an. Wir stellten uns hinter die anderen wartenden Autos und rollten alle 5 Minuten ein Stück weiter. Nach einer halben Stunde Stop-and-Go wurde erst David ausgestempelt (Chrissy musste den Fußgängergrenzübergang nehmen) und dann schließlich ich. David musste aus irgendeinem Grund an der Seite warten, ich aber konnte weiterfahren. Nach einer weiteren halben Stunde war ich nach Georgien eingereist.
Warten an der Grenze
Chrissy konnte ich nicht entdecken, und von David sah ich auch immer noch nichts im Rückspiegel. Ich verließ den Grenzbereich und parkte nach ca. 500 Metern direkt am Strand von Sarpi.
Meine türkische Sim-Karte hatte immer noch Empfang, und ich nahm Kontakt mit David auf. Es stellte sich heraus, dass er festhing, weil die LKW-Zulassung des Bullis auf türkischer Seite Probleme machte, es war von einer angeblich nicht gezahlten Transit-Gebühr die Rede. Die Strafe dafür solle nun 900€ betragen.
Ich fieberte vor meinem Handy mit David mit, während ich am georgischen Schwarzmeerstrand saß. Irgendwann ging ich zurück, um Chrissy zu suchen und zu informieren, glücklicherweise fand ich sie. Ich erzählte ihr alles, denn sie hatte ja keine Möglichkeit gehabt mit David Kontakt aufzunehmen. Der hatte mittlerweile den türkischen Zöllner bestochen, und so konnten wir nach über 3 Stunden endlich die Grenze verlassen und weiterfahren.
Kurz vor Batumi trennten sich unsere Wege, wir verabschiedeten uns und wünschten uns gegenseitig eine gute Weiterreise.
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Die Türkei hat mir im Rückblick sehr, sehr gut gefallen, auch wenn ich (leider) nur 11 Tage dort war. Die Menschen waren unfassbar nett, ich habe mich zu keiner Zeit unsicher gefühlt und man ist sehr willkommen.
Das Essen ist unglaublich gut, die Preise sind sehr niedrig (ich habe im Durchschnitt 3,90€/Tag für Essen, Vergnügen etc. ausgegeben) und die türkische Kultur ist sehr interessant. Ich habe Unmengen an Tee getrunken, neue Bekanntschaften gemacht, viel über Land und Leute und auch politische Ansichten gelernt.