
#14 Dushanbe — Tashkent — (fast) Bishkek
Von Tadschikistan und Dushanbe war ich nicht wirklich begeistert, irgendwie fehlte das gewisse Etwas, weswegen ich nur drei Tage in der Hauptstadt mit knapp 800.000 Einwohnern verbracht habe. Die Stadt hat nichts richtig Sehenswertes, ist nicht sehr sauber und abseits der Hauptstraße nicht besonders hübsch.
In Dushanbe fährt der gesamte deutsche Opel-Gebrauchtwagenmarkt, erkennbar an den deutschen Nummernschildhaltern, Aufklebern etc. Deutsche Exportautos stehen hier für Qualität und sind ein Statussymbol, ein Taxifahrer zeigte mir stolz die Fähigkeiten seines Astras. Aber auch sonst wird alles, was in Europa nicht mehr auf die Straße darf, nach Tadschikistan abgeschoben. Warum jetzt gerade Opel der heiße Schlitten in Dushanbe ist, konnte mir aber auch keiner sagen.
Ich habe die Tadschiken zwar als gastfreundlich erlebt, im Alltag dann doch aber sehr „speziell“ und nicht unbedingt immer freundlich. Man merkt, dass Land und Leute sehr persisch geprägt sind, was sich natürlich auch im tagtäglichen Leben wiederspiegelt. Ein bisschen wie der Iran, könnte man fast sagen, mit ein paar kleinen Unterschieden und keinen strengen, religiösen Gesetzen.
Man merkt aber auch, dass Tadschikistan deutlich geringer entwickelt und sehr ärmlich ist — von all meinen bisher besuchten Ländern hat es den geringsten Entwicklungsindex. Auf den ersten Blick fällt es nicht sehr auf, aber je tiefer man eintaucht, desto eklatanter offenbaren sich die Missstände.
Statt aber die Probleme zu bekämpfen, stellt der tadschikische Präsident Rahmon (im Amt seit 1991) lieber Plakate von sich selbst auf („Schaut doch, wie toll ich bin!“), verletzt Menschenrechte und hob seine Amtszeitbegrenzung auf und baut auch sonst lieber einen riesigen Flaggenmast und einen schicken Palast. Ist das wirklich, was Tadschikistan braucht?
Tadschikische Propaganda
Flaggenmast Dushanbe
2018 ist das „Jahr des Tourismus“ im Land, aber wenn ich mir das Ganze so anschaue, habe ich keine wirkliche Lust noch einmal wiederzukommen geschweige denn eine „Reiseempfehlung auszusprechen. Einzig und allein die Natur ist wundervoll und einzigartig, das muss man Tadschikistan lassen und wäre vielleicht der einzige Grund (im Moment!), ins Land zu reisen. Der Iskanderkul-See zum Beispiel, ein wunderschönes Stück Natur, den auch wir uns nicht entgehen lassen haben.
Iskanderkul-See
Ich wünsche dem Land für die Zukunft eine gute Entwicklung im Tourismussektor, denn es hat auf jeden Fall optimale Voraussetzungen für eine interessante Destination — aber wenn es so weitergeht wie bisher, wird das nichts.
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Mit Alexander fuhr ich dann in den Norden Tadschikistans, erneut durch den Todestunnel, und nach einer weiteren Übernachtung wieder zurück nach Tashkent.
Die Hauptstadt Usbekistans hat einen Sowjet-Charme und bietet Beschäftigung für ein paar Tage, mal etwas Abwechslung zu den anderen Städten des Landes und mal wieder „Großstadt-Feeling“; die Perlen Usbekistans liegen jedoch definitiv woanders.
Tashkent
Da wir die aber bereits gesehen hatten, hielt uns nichts mehr in Tashkent und Osh, eine Stadt im Süden Kirgisistans, stand als unser Ziel fest. Die Route quer durch das Ferghana-Tal war wunderschön, und dank Ausländer-Touri-Bonus war auch die Grenze kein Problem — und schon waren wir in Kirgisistan und ich meinem Ziel ein Stück näher.
Für Osh hatten wir uns ein Hostel gebucht. Als wir dort ankamen, war aber niemand da, und nach einem klärenden Gespräch mit einem Anwohner stellte sich heraus, dass es geschlossen war. Na toll.
Glücklicherweise fanden wir schnell eine Alternative und konnten daher am nächsten Morgen ausgeschlafen und gestärkt Richtung Norden aufbrechen.
Unser Weg führte uns zunächst an der usbekischen Grenze entlang durch die letzten Ausläufe des Ferghana-Tals, ehe sich die ersten Berge erhoben, die Straßen steiler und die Kurven enger wurden.
In der Dämmerung, wir rollten recht zügig bergab, baute sich auf einmal eine atemberaubende Landschaft vor uns auf: Wir waren am Toktogul-See.
Der See fügte sich perfekt in die gebirgige Landschaft, wir waren einfach überwältigt von der puren Schönheit der Natur. Ich fand einen kleinen Kiesweg, der von der Straße abging, und nach ein paar Minuten standen wir abseits der Straße auf einem kleinen Plateau, mit einem gewaltigen Ausblick über die Landschaft. Wir waren uns sofort einig, dass wir die Nacht hier verbringen würden.
Ich hielt für einen kleinen Moment inne und dachte nach. Ist es nicht fast schon magisch, was die Natur erschaffen kann? Ein Zusammenspiel von verschiedensten Vorgängen über tausende von Jahren, und es entsteht etwas unglaublich Faszinierendes und zugleich Wunderschönes. Dieses Gefühl, was ich in diesem Moment hatte, ist schwierig in Worte zu fassen; das Gehirn schaltet sich für einen kurzen Moment ab, man vergisst alles um sich herum. Ich tauchte tief in meine Umgebung ein, mit jeder Sekunde nahm ich ein weiteres Detail der Landschaft war.
Die kleinen, braun-grünen Pflanzen zwischen granitfarbenem Gestein, die die kleinen Hügel vor mir bedeckten. Das kristallklare Wasser, auf dessen Oberfläche sich die Blautöne des Himmels und weichen Wolken sanft spiegelten. Die verschiedenen Kolorierungen und Farbschattierungen des kleinen Gebirges am anderen Ufer, von braun zu grau zu weiß zu braun; dahinter die schneebedeckten Gipfel der letzten Ausläufer des Tian-Shan-Gebirges. Unsere Welt kann so friedvoll und sorgenlos sein, das vergisst man viel zu oft. Mir jedenfalls wurde das in diesem Moment ganz besonders bewusst.
Ich weiß nicht, wieviel Zeit ich damit verbrachte, mitten auf der Wiese mit gen Horizont gerichtetem Blick zu stehen, aber das spielte zu diesem Zeitpunkt auch keine Rolle. Ein einsamer Vogel, der durchs Bild segelte, holte mich zurück ins Leben.
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Wir bauten schließlich das Zelt für Alexander auf (ich würde im Auto schlafen) und kochten uns ein vorzügliches Gericht auf dem Gaskocher, typisch Camping eben. Es wurde langsam dunkel, wir öffneten unser Bier welches wir in kluger Voraussicht in Osh eingekauft hatten und genossen die absolute Stille.
Die Stille. Einfach kein einziges Geräusch, tiefste Dunkelheit um uns herum. Auch wieder so ein Moment voller Friedseligkeit. Die ersten Sterne ließen sich am Himmel blicken, mit jeder Minute kam ein weiterer kleiner Lichtpunkt wie aus dem Nichts hinzu, bis das schwarze Firmament vollends von kleinen, funkelnden Punkten übersät war.
Je länger man in den Nachthimmel blickt, desto mehr Sterne entdeckt man. Mit einem Mal sah ich die Lichtstraße, die sich wie ein Band über den Himmel erstreckte. Eine Sternschnuppe durchschnitt das Bild für einen Augenblick.
Alexander und ich fingen an, über das Leben zu philosophieren, wir drifteten immer weiter ab; wenn ich alles aufschreiben würde, würde das sicherlich den hier zumutbaren Rahmen sprengen, aber es ging wohl um grundsätzliche Fragen wie Existenz, Universum, Denken & Gedanken…
In der tiefsten Nacht kletterten wir irgendwann in unsere Schlafgemache und fielen in einen tiefen, erholsamen und ruhigen Schlaf.
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Der Morgen war angebrochen; ich lugte aus meinem Schlafsack hervor und kurbelte das Fenster herunter, um etwas frische Luft hineinzulassen. Es war sehr früh und trotzdem schon sehr warm, weswegen ich wahrscheinlich aufgewacht war.
In der Ferne erblickte ich einen Schäfer, der seine Herde über die begrünten Hügel trieb, aber ansonsten war es wie am Abend zuvor still und unberührt.
Alexander reißverschlusste sich dann auch aus dem Zelt und ich setzte Wasser für Kaffee und Tee auf. Nach einigen Minuten pfiff der Kessel und wir genossen die erste Mahlzeit des Tages mitten in der Natur, mit derselben wundervollen Aussicht wie am Tag zuvor.
Wir sammelten unser Equipment (und selbstverständlich unseren Müll) auf, verließen den Platz und fuhren mit bester Laune Richtung Bishkek. Wir hielten noch schnell an einem Parkplatz uns entsorgten den Müll, wofür wir einen respektvollen Blick und einen nach oben gereckten Daumen eines älteren Herrn ernteten.
Mit der Zeit führte uns die Straße wieder in Berg-Terrain, wir erklommen die letzten Berge vor der Hauptstadt Kirgisistans. Auch hier wieder wunderschöne Natur, die Straße folgte dem Verlauf eines kleinen Flusses.
Alles war schön, bis ich nach einer Kurve den orangen Stoppstock eines Polizisten sah und wir angehalten wurden. Mitten in den Bergen, im Nirgendwo, von der kirgisischen Polizei. Freude kam auf.
Im Spiegel sah ich, wie der Officer total cool und locker den Stock ums Handgelenk schwingend (so viel Lässigkeit und Coolness auf einmal, ich bekam kaum Luft) auf uns zugelaufen kam. Wir waren wohl eine willkommene Abwechslung in dieser gottverlassenen Gegend — und dann auch noch Touristen, da klingelte bereits die imaginäre Kasse im Kopf des Staatstreuen.
Alexander hatte ich vorher bereits eingeflößt, in jedem Fall erstmal nichts zu sagen und im Auto sitzen zu bleiben, denn wenn die Polizei erfahren würde, dass er Russisch spricht, bietet ihnen das eine perfekte Angriffsfläche und uns deutlich weniger Chancen, unbeschadet aus der Sache herauszukommen.
Ich kurbelte das Fenster mindestens genauso lässig herunter, wurde mit einem strammen „Sdrastwutje!“ begrüßt und hauchte ein sanftes „Hello“. Ich musste mir ein Lachen verkneifen, sah der Polizist mit seiner übergroßen Mütze á la Sowjetstyle, unter der eine deutsche Durchschnittsfamilie genügend Schatten gefunden hätte, doch etwas, nun ja, witzig aus.
Er bat mich um meine Dokumente, und weil ich nicht groß nachdachte gab ich Vollhorst ihm die Originale von Führer- und Fahrzeugschein. Regel Nummer eins bei Polizeikontrollen? Gib nie deine Originale weg!
Dass er jetzt etwas Wertvolles in der Hand hielt, erkannte auch Mister Mütze-mindestens-so-groß-wie-mein-Ego und wies mich an, sitzen zu bleiben und lief schnurstracks zum Streifenwagen. Ich erkannte meine Dümmlichkeit, stieg aus und forderte meine Papiere zurück.
Aber halt, wir wurden ja nicht ohne Grund angehalten! Der Officer wollte mir weismachen, dass ich mein Licht nicht eingeschaltet hätte, weil das in Kirgisistan auch am Tage leuchten muss und ich jetzt Strafe zahlen müsste.
Hierbei muss erwähnt werden, dass mein Audi mit Tagfahrlicht (TAGfahrlicht) besitzt, was generell immer leuchtet, als Ersatz für die normalen Scheinwerfer solange diese nicht eingeschaltet sind. Das wollte er aber nicht verstehen, auch nach dreimaliger Erläuterung und Vorführung. Stattdessen füllte er irgendein Strafzettel-Formular aus. Er würde meinen Führerschein behalten, nach Bishkek schicken und dort könnte ich ihn abholen, wenn ich jetzt die Strafe bezahlen würde. Jo, is’ klar. Diskutieren half nicht, auch die „Armer Tourist“-Nummer zog nicht, er würde mir meine Papiere nicht wiedergeben.
Ab diesem Moment wurde es mir zu viel. Ich ging zum Auto, holte mein Handy und meinen Pass und zog meinen Plan B ab. Der besteht aus Herumwedeln mit dem Pass und der Aufforderung, die deutsche Botschaft in Bishkek anzurufen. Ich zeigte ihm die Nummer und einen Screenshot der russischsprachigen Website der Botschaft — und, siehe da, auf einmal war alles ganz einfach.
Mit etwas Panik in den Augen reichte mir der Polizist meine Papiere zurück und ließ mich gehen. Na also, geht doch.
Ja, im Nachhinein war es dumm von mir, meine Dokumente so leichtfertig wegzugeben, und die Botschafts-Nummer ist sicherlich auch nicht die beste Lösung, aber ich habe ja nun einmal auch nichts falsch gemacht.
Ich stieg zurück zu Alexander ins Auto, der die gesamte Zeit über brav gewartet hatte, und wir fuhren lachend davon. Glück gehabt!
Wir kämpften uns weiter durch die Berge, machten eine kleine Rast auf dem Berggipfel und tranken Schmelzwasser direkt aus einem kleinen Bach. Es war eiskalt, ich hatte lange nicht mehr so gutes Wasser getrunken. Wir füllten einen Kanister davon für später ab.
Auf 3200 Metern erreichten wir den Too-Ashuu-Pass, den höchsten Punkt der Route und durchquerten einen langen Tunnel, der im Vergleich zu Tadschikistan aber nicht so gruselig war. Am Ausgang wurden wir erneut von der Polizei angehalten, aber der Polizist war mehr an uns als an unseren Dokumenten interessiert. Den kleinen Zwangsstopp nutzten wir für eine weitere kleine Pause.
Danach ging es nur noch bergab, und 150 Kilometer vor Bishkek hatten wir einen Grund zum Feiern: Mein Audi knackte die 300.000-Kilometer-Grenze, davon bisher mehr als 26.000 mit mir. Wieder hielten wir an, machten ein paar Erinnerungsfotos und zelebrierten uns und den Wagen.
An dieser Stelle, lieber Audi: Danke für Alles! Für deine Zuverlässigkeit, dass du bisher so super durchgehalten hast und es auch weiter wirst, da bin ich mir sicher. Ich könnte mir kein besseres Auto vorstellen — auf die nächsten 300.000 und noch viel weiter!
Die weitere Fahrt Richtung Bishkek war entspannt, ich kam meinem Ziel immer näher, das GPS zeigte 20 Kilometer Reststrecke an. Nicht mehr weit, und ich würde da sein, wovon ich so lange träumte und woher dieser Blog seinen Namen hat.