
#8 Sarpi — Batumi — Tbilissi — Baku
Ich hatte mich also von Chrissy und David verabschiedet und fuhr nun allein nach Batumi hinein. Es war bereits dunkel und ich suchte die Adresse meines Couchsurfing-Hosts Raoul auf.
Da ich kein Internet oder eine Mobilfunkverbindung mehr hatte und kein offenes Wifi-Netzwerk in der Nähe zur Verfügung stand, fragte ich einen Herrn auf der Straße, ob ich sein Telefon benutzen dürfte. Er drückte es mir in die Hand und ich rief Raoul an.
Der holte mich kurz darauf ab und wir begaben uns in sein Apartment. Raoul kommt aus Kamerun und ist jetzt in Batumi, um von dort aus zu arbeiten und etwas näher an Europa zu sein. Er sagte mir, dass er es sich besser vorgestellt hat und etwas überrascht war, wie „arm“ Georgien doch, für ein nach seinen Begriffen europäisches Land, ist. Ich klärte ihn ein wenig über Europa, die EU und die allgemeine Lage der Kaukasus-Länder auf, es half ihm sichtlich das Ganze besser zu verstehen.
Wir unterhielten uns noch lange über seine Vergangenheit; über seine Kindheit mit sieben Geschwistern im ländlichen Kamerun, die 15-Stunden-Schichten bei einem Catering-Unternehmen in Dubai, wo er zwei Jahre lang gearbeitet hatte und auch über sein Leben in Georgien. Er ist nun seit 3 Monaten in Batumi und möchte von dort aus sein Onlinebusiness aufbauen.
Er ist voller Hoffnung und Überzeugung, dass es mit seinem Traum klappen wird, aber auch er sagt, dass es nicht einfach wird und ist. Er möchte in der Zukunft ein besseres Leben und dies auch an seine Familie weitergeben, sodass er all seine Energie in sein Projekt steckt.
Raoul hatte bisher ein sehr hartes Leben, und wieder einmal wurde mir gezeigt, wie dankbar ich doch für meine allgemeinen Lebensumstände sein kann.
Aus irgendeinem Grund hatte seine Wohnung keinen Strom, sodass wir einfach bei Handytaschenlampenschein dasaßen und uns unterhielten. Hatte auch irgendwie was.
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Nach dem Frühstück liefen Raoul und ich den Batumi-Boulevard entlang, eine kilometerlange Flaniermeile direkt neben dem Strand zum Schwarzen Meer. Direkt am Boulevard sind unzählige Cafés, Restaurants und kleine Shops, die jedoch fast ausnahmslos alle geschlossen waren, da außerhalb der Sommersaison kaum Touristen nach Batumi kommen. Gut für uns, so waren wir fast überall die Einzigen.
Batumi Boulevard
Batumi ist geprägt vom Bauboom. Zwar hat die Stadt gerade mal 152.000 Einwohner, macht aber den Eindruck einer viel größeren Metropole. Überall werden riesige Gebäude hochgezogen, an jeder Ecke stehen Kräne und LKWs voller Baustoffen. Ein bisschen erinnert es an Dubai.
Man rechnet hier stark mit einem gewissen Boom in den nächsten Jahren, weswegen entsprechend viel gebaut wird, nicht nur für die Touristen, sondern auch als Anlage etc. Hauptakteur ist hierbei die russische Firma ORBI, die nahezu alle Bauprojekte organisiert und verwaltet.
Ich bin sehr gespannt, wie sich Batumi entwickeln wird und ob die Bauvorhaben nicht doch etwas zu optimistisch sind, denke aber im Großen und Ganzen an eine positive Entwicklung und Zukunft der Stadt.
In der Altstadt später tranken wir für umgerechnet 0,50€ besten Bohnenkaffee, Auch Georgien ist ähnlich günstig wie die Türkei, man kann hier ebenfalls problemlos mit 10€ pro Woche über die Runden kommen.
Auch die Busfahrt nach Hause kostete weniger als 15 Cent und einen halben Liter Bier gibt es für knapp 66 Cent. Ansonsten gibt es in Batumi unzählige Kasinos, viele kommen gerade deswegen nach Batumi, und auch nette Hotels wie das Hilton oder Sheraton — fast ein bisschen Las Vegas.
Zurück in der Wohnung fehlte der Strom immer noch. Raoul scherzte, dass dies afrikanische Verhältnisse seien und erzählte mir bei der Gelegenheit, dass in Kamerun manchmal der Strom für mehr als eine Woche „einfach nicht mehr da sei“; das Internet dort hatte letztes Jahr einen fünfmonatigen Totalausfall.
Da die Handyakkus sich langsam leerten und auch eine Wifi-Verbindung mal ganz schön wäre, fragte Raoul bei der Hausverwaltung nach dem Grund des Stromfehlens. Es stellte sich heraus, dass er seine Miete nicht pünktlich bezahlt hatte und daher die Wohnung „abgeschaltet“ worden war.
Er zahlte nach und wir hatten endlich wieder Elektrizität.
Am Abend setzte ich mich nach draußen auf den Balkon, während Raoul das Abendessen zubereitete. Die Abendsonne schien schräg über die Häuserdächer und tauchte den Innenhof, in den ich blicke, in ein warmgelbes Licht. Ich beobachtete die Menschen, die durch den Hof liefen. Kinder spielten, Mütter schleppen Einkaufstüten nach Hause, ein paar Bauarbeiter warten im Schatten auf ihren Feierabend und ein älterer Herr läuft mit seinem Hund quer über den Platz. Es ist immer wieder interessant, das alltägliche Leben der Leute zu beobachten, vor Allem in einem anderen Land — alles findet ganz selbstverständlich statt.
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Am nächsten Tag fuhr ich zu Riccarda, einer Deutschen die geschäftlich in Batumi verweilte und mich über Couchsurfing eingeladen hatte.
Wir besuchten den botanischen Garten in Batumi und liefen mehr als 5 Stunden in dem riesigen Areal herum. Gegen Ende hin nahmen wir einen Weg, den wohl sonst keiner nahm, jedenfalls führte der enge Weg durch ein Dickicht aus Pflanzen aller Art. Erschöpft kamen wir irgendwann auch mal wieder am Parkausgang an. Wir betrachteten noch das naheliegende Ufer des Schwarzen Meeres und den dunstigen Ausblick auf Batumi.
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Nach zwei Tagen war es an der Zeit, Batumi zu verlassen und weiter nach Tbilisi (Tiflis), der Hauptstadt Georgiens, zu fahren. Ich nahm Riccarda noch bis zum Flughafen von Kutaissi mit und setzte sie dort ab.
Ich kämpfte mich dann durch die teils sehr schlechten Straßen, gepaart mit der lebensmüden Fahrweise der georgischen Autofahrer. Jedem zweiten Auto in Georgien fehlt mindestens eine Stoßstange, Windschutzscheiben sind gerissen, teilweise fehlen ganze Türen oder auch mal die Fahrzeugbeleuchtung. Hauptsache, es fährt.
Georgien scheint die Resterampe für Gebrauchtwagen aus Europa zu sein, vornehmlich aus Deutschland. Das bezeugen die unzähligen deutschen Nummernschildhalter („Autohaus …“) oder die nicht-entfernten Aufschriften auf den Autos („Sanitär-Service Müller“ etc.). Man freut sich schon, mal ein bisschen Heimat fernab zu sehen, aber die bedrohliche Fahrweise nimmt einem das Lachen wieder sofort. Ich werde nie verstehen, was ein georgischer Autofahrer versucht zu erreichen, wenn er an einer roten Ampel oder im Stau unaufhörlich hupt. Nun gut.
Eine weitere georgische Eigenart ist, dass Kühe und anderes Getier gerne mal direkt neben der Straße weidet. Das ist soweit auch kein Problem, bis plötzlich eine Kuh vor mir beschloss, dass das Gras auf der anderen Straßenseite viel grüner ist als auf der, wo sie gerade steht. Auch das ist soweit kein Problem, nur ist es keine gute Idee der Kuh die Straße genau dann zu überqueren, wenn ich und andere mit mehr als 100 km/h heranrauschen. Sie hievte sich also umständlich auf den Asphalt und brachte mich und die anderen mit quietschenden Reifen zum Stehen. Es war echt knapp, ich wieder ganz wach und bei der Weiterfahrt immer etwas angespannt, wenn etwas Geflecktes zu sehen war.
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Für Tiflis hatte ich mir ein eigenes Apartment gebucht, um mal ein paar Tage Ruhe zu haben. Nichts gegen das Reisen mit Couchsurfing oder etwas mit anderen zu machen, aber sich selbst mal wieder ein bisschen zu organisieren tut auch mal ganz gut.
Irakli, der Vermieter, zeigte mir am nächsten Tag noch die Stadt und wir sprachen viel über Georgien. Er erzählte mir, dass leider immer noch viele Ex-Sowjets in den wichtigen Stellen sitzen (eine ähnliche Situation wie in Rumänien) und mit ihren alten Denkweisen das Land am Fortschritt hinderten.
Auch möchte sich Georgien weiter Europa und der EU annähern und von Russland entfernen, das bezeugen auch die optimistisch gehissten EU-Flaggen überall im Land.
Die russische Sprache spielt aber noch eine große Rolle im Alltag, viele sprechen es noch und auch zahlreiche Schilder und Produkte sind auf Russisch beschrieben, was vielleicht auch an der für Ausländer unlesbaren georgischen Sprache liegt. Auch kommen zahlreiche Touristen und Geschäftsinteressierte aus Russland nach Georgien.
Nichtsdestotrotz konnte das Land einiges erreichen in den letzten Jahren, die Wirtschaft geht bergauf, der Lebensstandard verbessert sich und auch der Tourismus kommt langsam ins Land. Von allen ehemaligen Sowjetrepubliken hat Georgien die bisher beste Entwicklung hingelegt. Georgien setzt zudem gute Anreize für Geschäftsleute durch Steuererleichterungen, unkomplizierte Behördenvorgänge für Ausländer und großzügige Visa-Bestimmungen.
Tiflis selbst ist eine sehr europäische Stadt und bietet durchaus seine Reize. Ich empfand die Stadt auf jeden Fall sehenswert, Altes trifft auf Neues und man sieht den Fortschritt auch im touristischen Bereich. Aber eine Fülle an Sehenswürdigkeiten hat Tiflis meines Erachtens nach nicht, nach maximal zwei Tagen hat man eigentlich alles mindestens einmal gesehen, auch die anderen Seiten der Stadt.
Tiflis, divers
Ich fühlte mich irgendwie nicht richtig gut, eine kleine Erkältung kündigte sich an, deswegen unternahm ich auch nicht mehr viel und verbrachte viel Zeit in der Wohnung — ich hatte absolut gar keine Lust, irgendetwas zu unternehmen. Lediglich am letzten Tag erkundete ich noch ein wenig die umliegenden Geschäfte und stieg am Abend auf den Berg im Süden, um ein paar Nachtaufnahmen zu machen.
Ansonsten reparierte ich noch meinen Tankdeckel, den meine Wenigkeit verbogen hatte, als ich beim Tanken gegen den geöffneten Deckel lief und dieser sich danach nicht mehr richtig schließen ließ. Zum Glück war die Sache schnell erledigt und ohne weitere Konsequenzen.
Georgische Sprache
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Es war an der Zeit, Georgien zu verlassen und ich packte meine sieben Sachen zusammen und verließ die Stadt. Vorher gönnte ich mir noch einen leckeren Instant-Kaffee, für den ich mir im Supermarkt gegenüber extra noch Milch gekauft hatte. Ich goss also die Milch in den Kaffee, und alles begann unschön zu flocken. Ich las das Etikett genauer: Ich hatte tatsächlich Kefir gekauft.
Der Verkehr in Tiflis war glücklicherweise nicht allzu dicht, trotzdem rannen mir die Schweißtropfen von der Stirn, da ich hochkonzentriert in die zahlreichen Kreisverkehre einfuhr, um ja keinen Feindkontakt zu haben — auf eine georgische Unfalldiskussion hatte ich nun absolut keine Lust. Vielleicht hätte ich auch einfach meine Stoßstangen abmontieren sollen.
Ich fuhr eine malerische Landstraße zur georgischen Grenze entlang und kam nach einer guten Stunde dort an.
Die Ausreise aus Georgien dauerte vielleicht eine Minute, und auch die Einreise nach Aserbaidschan verlief unerwartet schnell und unkompliziert, nach 20 Minuten hatte ich meinen Stempel im Pass und konnte weiterfahren!
In Aserbaidschan empfingen mich frühsommerliche Temperaturen um die 18° und ich kam in der wunderschönen Stadt Ganca an, ungefähr auf der Hälfte zwischen Tbilisi und Baku.
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Der nächste Morgen brach an und ich verließ das Hostel nach einem schnellen Frühstück. Auch die Fahrt nach Baku verlief reibungslos, ich gabelte auf halber Strecke noch einen Anhalter aus Belarus auf, der sich sichtlich freute.
Am Abend konnte ich nach einer ewigen Parkplatzsuche endlich im „Amsterdam Hostel“ in Baku einchecken.
Zu Baku erscheint demnächst noch ein eigenständiger Blogartikel.
Der Blog ist jetzt auf dem aktuellen Stand parallel mit meinem Aufenthaltsort. Da ich jetzt gleich in den Iran fahre, weiß ich nicht, wann der der nächste Blogeintrag kommt, aber nach (hoffentlich) spätestens einer Woche!