#9 Baku — Varzaqan — Tehran

#9 Baku — Varzaqan — Tehran

Ich machte mich nun also auf den Weg um Baku, die aserbaidschanische Hauptstadt, zu Fuß zu erkunden. Ich hatte mich vorab über ein paar Sehenswürdigkeiten informiert und verließ schließlich das Hostel.

Zunächst erkundete ich die Altstadt von Baku, der Weg dorthin führte mich durch einige wundervoll gestaltete Parks. Springbrunnen plätscherten leise, Blumen blühten und jeder im Park, ob Jung oder Alt, genoss die frühlingshafte Stimmung mitten im Stadtzentrum.
Die Altstadt ist größtenteils renoviert, es gibt aber auch ein paar original erhaltene Gebäude.

Ich erblickte in einiger Entfernung die „Flame Towers“ von Baku, die die anderen Gebäude in Sichtweite um ein Vielfaches überragten. Ich folgte den Türmen und betrachtete sie aus nächster Nähe; die Türme wurden 2013 fertiggestellt und sind zwischen 160-180 Metern hoch und bilden eines der markantesten Zeichen Bakus.

Direkt neben den Flame Towers befindet sich eine Gedenkstätte für die 1990 von Sowjet-Truppen getöteten Aserbaidschaner („Schwarzer-Januar“-Unabhängigkeitsaufstände am 20. Januar 1990) sowie für die getöteten Soldaten im Bergkarabach-Krieg.

Bereits seit Jahrzehnten streiten sich Aserbaidschan und Armenien um die Region „Bergkarabach“ im Südwesten Aserbaidschans, die sich 1988 unabhängig von Aserbaidschan erklärt hatte; zudem hat Armenien weitere Bereiche der Region besetzt. In Folge dessen kam und kommt es immer wieder zwischen Kampfhandlungen zwischen beiden Ländern. Bis heute erkennt aber kein Mitgliedsstaat der UN Bergkarabach an.

Direkt an die Gedenkstätte schließt sich der „Upland Park“ an, eine Parkanlage mit großzügiger Terrasse, die eine gute Aussicht auf Baku bietet. Man blickt von Süden aus in die Stadt und kann die Entwicklung, das Wachstum und auch die Modernisierung Bakus gut erkennen.

Der Rückweg führte mich über den Baku Boulevard entlang, eine schön gestaltete, riesige Flaniermeile an der Küste zum Kaspischen Meer.

Wenn man durch Baku spaziert, verwundern zunächst die hohen, soliden Absperrungen an den Straßen — dies ist aber der Formel 1 geschuldet, die in Baku gastiert und deren Rennkurs mitten durch die Innenstadt führt.

Der nächste Morgen begann mit den letzten Vorbereitungen für den bevorstehenden Grenzübergang in den Iran.

Ich verließ Baku und gelangte nach ca. 30 Minuten auf eine Straße, die den Namen „Straße“ nicht verdient. Es war ungelogen die bisher schlechteste Straße auf der gesamten Reise und ich habe sieben Stunden für knapp 300 Kilometer gebraucht. Es war eine Zumutung.

An einem gewissen Punkt fuhr ich seit einer Viertelstunde hinter einem LKW her, der maximal 25 km/h fuhr. Hinter mir hatte sich bereits eine lange Schlange gebildet, komischerweise überholte aber niemand, wird doch in Aserbaidschan so früh wie möglich an den unmöglichsten Stellen überholt.
Irgendwann wurde es mir zu blöd und ich überholte den Laster und das Auto vor ihm, welches ebenfalls sehr langsam fuhr.

Ich scherte wieder ein und — hinter mir blitze rot-blaues Licht auf. Tatsächlich fuhr genau vor dem LKW ein Streifenwagen der aserbaidschanischen Polizei, und ich Vollidiot hatte den gerade überholt. Im Überholverbot.

Ich wurde unter flackernden Lichtern und Lautsprecherrufen an die Seite dirigiert. Die Polizei blieb hinter mir stehen und die Schlange aus Autos zog langsam an uns vorbei. Ich konnte sehen, wie einer nach dem anderen begann, den LKW zu überholen, jetzt wo die weiß-blaue Gefahr in Form der Gesetzeshüter gebannt war.

Ich schaute leicht ängstlich in den Rückspiegel, in dem einer der beiden Polizisten sheriffmäßig auf mich zugestapft kam. Ich kurbelte schuldbewusst mein Fenster herunter und erntete zunächst den „Da-haben-wir-dich-wohl-erwischt“-Blick. Ich kramte in meiner Tasche und schüttete den Officer mit einer Fülle an nutzlosen Kopien und Dokumenten zu, von denen einige nicht einmal in Bezug zu mir oder dem Auto standen, um Verwirrung zu stiften.
Er nahm den Papierkram mit und versuchte mir dann mithilfe des Polizeihandbuchs zu erklären, dass ich im Überholverbot überholt hatte. Ich mimte den ahnungslosen Touri und brabbelte irgendwelche Sätze auf Deutsch. Er guckte etwas verwirrt drein, schien zu überlegen, warf mir meine Kopierblätter zurück ins Auto und wies mich an, dass ich fahren könne. Glück gehabt.

Immer noch etwas adrenalingeladen fuhr ich weiter zur Grenze und war dankbar über den Verlauf der Sache, aber auch ein bisschen stolz, da ich mich aus der von mir verzapften Situation herauswinden konnte.

Bei der Ausreise aus Aserbaidschan begannen wieder die üblichen Fußballgespräche den Kontrollprozess zu verlangsamen, aber ich hatte echt keine Lust, mal wieder mein Lieblingsteam, Lieblingsspieler, Lieblingsstadion und Lieblings-was-weiß-ich der Bundesliga zu erläutern. „Stempelt doch einfach den blöden Reisepass“, ging mir mehrfach durch den Kopf, während ich langsam vom Regen durchweicht wurde und ein gelangweilter, junger Soldat in einem viel zu großen Regenmantel einen lustlosen Blick in meinen Kofferraum warf.

Irgendwann war das Thema Fußball dann (endlich!!) auch beendet, man gab mir meinen Pass und ich verließ den Grenzbereich so schnell wie möglich, bevor ich noch weitere tiefgründige Analysen zur Chance des WM-Gewinns von „Almanya“ abgeben muss.

Die iranische Seite empfing mich sehr höflich, wobei ich eine ganze Menge Aufsehen erregte und sich nach ein paar Minuten eine Schar von Menschen um mich herum gebildet hatte. Jeder versuchte mir zu helfen; ich war zunächst etwas skeptisch, vermutete ich doch finanzielles Interesse hinter der Hilfsbereitschaft. Wie sich herausstellte, wollten mir jedoch wirklich alle nur helfen und so hatten sich die Formalitäten nach einer halben Stunde erledigt. Aber halt! Das Carnet!

Für diejenigen, die sich an dieser Stelle fragen: Was ist ein Carnet?
Das „Carnet de Passages“ ist quasi der Reisepass des Autos und berechtigt zur zollfreien Einreise in ein Land, in diesem Fall dem Iran. Es wird vom Fahrzeugeigentümer (in diesem Falle also mir) durch die Hinterlegung einer Kaution (ohne die das Carnet vom ADAC nicht ausgestellt wird) garantiert, dass das Fahrzeug nur temporär im Land verbleibt und auch wieder ausgeführt wird.
Ein- und Ausreise werden in das Carnet gestempelt und man erhält die Kaution nur zurück, wenn das vollständige Carnet und das Auto wieder in Deutschland sind.
Tatsächlich ist der Iran auch das einzige Land auf meiner Reise, für das ich das Carnet benötige.

Natürlich war genau an diesem Tag das Zollbüro nicht besetzt, sodass ich zunächst ohne gestempeltes Carnet dasaß. Natürlich hätte ich auch jetzt weiterfahren können, aber spätestens bei der Ausreise wäre es dann zu Problemen gekommen.

Glücklicherweise sah man mich und mein Problem und setzte alles Mögliche daran, dass sich jemand um das Carnet kümmern würde. Mir wurde ein Stuhl angeboten und ich setzte mich, um zu warten.

Leider gab es immer wieder ein paar Verständigungsprobleme und ich war zwischenzeitlich etwas ratlos, was jetzt passieren würde; ich glaube, man sah es mir an, denn irgendwann kam ein älterer Zöllner zu mir, lächelte mich an und sagte mir „Don’t worry, look at the sea“ und wies dabei auf das Fenster hinter mir, durch das man das Kaspische Meer sehen konnte. Es war ähnlich aufgewühlt wie ich, die Wellen tobten und zerbarsten am dunklen Strand, ein paar Wassertropfen klopften gegen das Glas und zogen Schlieren in die staubige Schicht auf der anderen Seite.

Nach einer halben Stunde wurde ich schließlich von einem Motorroller abgeholt und in das Zollhäuschen gebracht. Tatsächlich hatte man extra für mich den zuständigen Beamten angerufen und aus seinem Urlaub geholt, damit er mein Heftchen abstempeln könne. Es dauerte ein wenig, denn ich musste ihm erklären wo er was einzutragen hatte, im Endeffekt lief aber alles gut und ich war ihm sehr dankbar für seinen Einsatz.

Ich konnte den Grenzbereich verlassen und war im Iran. Ich konnte es aus irgendeinem Grund in dem Moment selbst nicht glauben: Ich war tatsächlich im Iran.

Ich bekam zum ersten Mal seit dem Start meiner Reise ein Gefühl, wirklich fremd und in einem ganz anderen Land zu sein. Nicht, dass es vorher nicht ungewohnt und neu war, aber zu realisieren, dass man soeben den mittleren Osten betreten hat — krasses Gefühl.

Ich stürzte mich in das Gewusel des Grenzortes, mittlerweile war es dunkel geworden aber ich versuchte dennoch, eine SIM-Karte zu kaufen, leider vergebens.

Ich nahm mir ein Hotel für, für mich, sehr teure 50 Dollar und genoss die erste Nacht unter iranischen Himmel (bzw. dem Fußgetrampel der Zimmernachbarn).

Mehr oder weniger gestärkt vom Hotelfrühstück begab ich mich zum Auto, um die Etappe zu meinem nächsten Couchsurfing-Host anzutreten. Ich hing ein wenig im Stadtverkehr fest, aber nach einiger Warterei bog ich auf die Straße, die mich durch die Berge in den kleinen Ort Varzaqan führen würde.

Der Nebel wurde immer dichter, je höher ich fuhr, und die Sicht wurde immer schlechter. Der Nebel war so dicht, dass er sogar unter meiner Motorhaube hervorquoll. Halt, warte mal, Nebel aus der Motorhaube? Irgendwas konnte da nicht stimmen!

Ich fuhr an den Straßenrand, eine einzige Matschwüste, öffnete die Haube. Mir schlug dichter Qualm entgegen und es zischte unaufhörlich.

Ich blickte etwas ratlos auf die ganze Situation und betrachtete vorsichtig den Motor. Alles war heiß und es hörte nicht auf zu qualmen.

Nach 10 Minuten hatte sich alles beruhigt und ich blickte auf den Kühlwasserbehälter, in dem kein einziger Tropfen mehr war. Sollte ich tatsächlich ein Leck haben? War der Motor heißgelaufen?

Da ich nicht wusste, was ich jetzt machen könnte, versuchte ich vorbeifahrende Autos anzuhalten. Tatsächlich erbarmte sich jemand und zwei Herren in Anzügen stiegen aus. Auch sie blickten ratlos auf das Herz meines Audis und riefen letztendlich einen Abschleppwagen.

Dieser nahm mein Auto an den Haken und zog uns bis nach Ardabil, wo wir nach einer halben Stunde ankamen. Es war eine sehr ungemütliche Fahrt, es zog aus allen Ecken und wir mussten uns auf die viel zu kleine Sitzbank quetschen. Ich fror die ganze Zeit.

Der Mechaniker in Ardabil hatte keine wirkliche Ahnung, und ich musste mich erstmal am brennenden Ölfass wieder aufwärmen. Später entdeckte ich einen Riss in einem Kühlwasserschlauch, durch den Wasser auf den heißen Motor getropft war und vermutlich der Auslöser für den weißen Qualm war.

Wir tauschten den Schlauch, aber der Motor schien aus irgendeinem Grund dennoch nicht genügend Kühlung zu erfahren.

Ich telefonierte mit meinem Couchsurfing-Host für die Nacht, der mir einen weiteren Abschleppwagen organisierte, und so rumpelten wir mit meinem Auto am Haken durch die dunkle Nacht und kamen irgendwann mitten in der Nacht in dem beschaulichen Örtchen an, wo mein Host wohnte.

🙁

In Varzaqan wurde ich trotz der späten Stunde freudig empfangen, die ganze Familie saß noch beim Essen rund um einen Tisch, der aus einem riesigen Teppich bestand, auf dem Boden.

Die Familie meines Hosts Sina (ja, im Iran ist das ein Männername) hatte sich für das Neujahrsfest „Novruz“ versammelt, welches traditionell im großen Kreise gefeiert wird. Eigentlich kommen alle aus Tehran, aber um der Großstadt entfliehen zu können, teilt sich die Familie ein kleines Haus.

Für diese zwei Neujahrs-Wochen im Jahr herrscht im Iran ein anderer Zustand, tausende Menschen reisen tausende Kilometer durch das Land, nur um Novruz feiern zu können. Ich war überglücklich, Teil dieser Zelebrationen zu sein.

Der kleine Ort, in dem das Ganze stattfand, liegt ca. eine Autostunde nördlich von Tabriz, der Provinzhauptstadt von Ost-Aserbaidschan, sehr malerisch zwischen Feldern und Bergen; in der weiten Ferne machen sich schneebedeckte Gipfel bemerkbar und zeugen von der sehr unwirtlichen Phase, die auch diesen Ort im Winter fest im Griff hat.
Jetzt, im Frühling, war es zwar immer noch recht frisch, aber die Sonne schien unaufhörlich und erweckte langsam wieder Leben in der Region.

In der darauffolgenden Zeit entspannte ich einfach und verdrängte das Problem am Auto ein wenig aus meinem Kopf. Ich ging viel wandern und war in der Natur, es wurde viel gegessen und gelacht und ich genoss die Zeit enorm. Nach zwei Tagen bekam ich den ersten Muskelkater vom Auf-dem-Boden-sitzen, anscheinend werden dabei mir gänzlich unbekannte Muskeln beansprucht und ich hatte gelegentlich Kämpfe mit mir selbst, im Schneidersitz zu sitzen, weil ich genau diese Form des Aggregatszustands zwischen Stehen und Liegen absolut nicht bevorzuge.
Wir verbrachten zum „Tag-der-Natur“ einen ganzen Tag in einem nahe gelegenen Waldstück, für den in der Nacht zuvor bereits Unmengen an Lebensmitteln vorbereitet und in einer einmaligen Logistikaktion in den Wald gebracht wurden.

Landschaft in Ost-Aserbaidschan/Iran

Nach fünf Tagen war es an der Zeit, das kleine Häuschen zu verlassen. Bereits beim Frühstück herrschte Aufbruchsstimmung, und auch im restlichen Iran stand die Rückreisewelle an, die noch zu weitreichenden Staus und anderen Verkehrsproblemen führen wurde.

Da für mein Gepäck und mich kein Platz mehr im Auto war, nahm ich den Nachtbus von Tabriz nach Tehran und jagte im „VIP-Bus“ durch die Dunkelheit.


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