#10 Tehran

#10 Tehran

Mich weckten die warmen Sonnenstrahlen, die in unregelmäßigen Abständen zwischen den Vorhängen des Busses hervorhuschten, den ich ja am Abend zuvor in Tabriz bestiegen hatte; beim Blick aus dem Fenster empfing mich die Silhouette einer äußerst lebendigen Stadt, im Hintergrund eingerahmt, in allen Himmelsrichtungen, von Bergen mit weißen Spitzen.

Der Bus fuhr in das bereits hoffnungslos überfüllte Bus-Terminal ein, obwohl es so früh am Morgen war. Ich verließ das „VIP-Shuttle“ (bezeichnet im Iran einen Reisebus mit extra viel Beinfreiheit) und machte mich zusammen mit einem iranischen Studenten, den ich im Bus kennengelernt hatte, zur Tehraner Metro auf.  Er schenkte mir ein Metro-Ticket und stieg mit mir in den Waggon, um mir den Weg und die Station zu zeigen, an der ich aussteigen müsse. Ich war sehr dankbar für diese Hilfsbereitschaft.

Allgemein sind die Iraner sehr gastfreundlich, hilfsbereit und aufgeschlossen gegenüber Reisenden respektive Touristen, die das Land besuchen. Man wird sehr freundlich empfangen, man bekommt schnell Hilfe angeboten und wird in meist interessante Gespräche verwickelt.
Man muss eigentlich nur ein bisschen hilflos in der Gegend herumstehen, spätestens nach 30 Sekunden wird man angesprochen und bekommt Hilfe angeboten.

Nach einer guten Dreiviertelstunde verließ ich die Metro kurz vor der Endstation und kam kurz darauf in der Tehraner Wohnung von Sina, meinem Gastgeber, und seiner Familie an und holte den Schlaf nach, den ich im Nachtbus versäumt hatte.

Schließlich kam am Abend noch mein Auto auf dem Autotransporter an, sodass wir uns gen Mitternacht noch einmal aufmachten. Mein Auto war ja zuvor bei Tabriz liegengeblieben und konnte daher den Weg nach Tehran nicht aus eigener Kraft absolvieren. Glücklicherweise verlief der Transport ohne jegliche Probleme und der Audi war sogar frisch gewaschen! Ich war erleichtert, dass er nun zur Reparatur in Tehran war, das würde die gesamte Sache deutlich einfacher machen.

Am nächsten Morgen fuhren wir in die Werkstatt und begutachteten zunächst die Gesamtsituation. Ich hatte bereits im Vorfeld eine Fehleranalyse betrieben und konnte die Ursache somit zunächst theoretisch eingrenzen.
Wir bauten daher den Thermoschalter aus, ein Bauteil zur Steuerung der Motorkühlung. Ich vermutete, dass dieser defekt sei und daher das Kühlwasser bei der langen Bergauffahrt überhitzt war.

Wir nahmen ein Taxi zum Autoteilebasar Tehrans, und ich war überwältigt von der Fülle des Marktes. Unzählige Geschäfte reihten sich aneinander, mit einer unfassbaren Auswahl an Autoteilen und Zubehör jeglicher Art. Sitzbezüge, Reifen, Lichter, Lenkräder, Aufkleber, Auspuffrohre — alles was das Herz begehrt, lässt sich hier finden, natürlich entsprechend zugeschnitten auf den (zugegeben etwas eigenartigen) iranischen Automobilmarkt.
Erstaunlicherweise war der Basar sehr gut sortiert, d.h. in einer Straße befanden sich ausschließlich Reifengeschäfte, in der nächsten Läden für Sitze, in der nächsten dann wiederum nur Spezialisten für Licht.

Nichtsdestotrotz verbrachten wir fast 3 Stunden auf dem Basar, denn es ist ziemlich schwierig, passende Teile für einen Audi zu bekommen, denn offiziell gibt es gar keine Audis im Iran. Nun gut, letztendlich wurden wir doch noch bei einem kleinen Händler fündig und ich kaufte ein (hoffentlich) passendes Teil.

Wir fuhren zurück und bauten den neuen Thermoschalter ein — voller Hoffnung und Erwartung, denn wir wussten nicht, ob er funktionieren würde.

Ich startete den Motor, und nach ein paar Minuten behielt der Motor tatsächlich seine normale Temperatur bei, die Kühlung schien wieder zu funktionieren! Wir hatten tatsächlich das richtigeTeil gekauft!

Ich war überglücklich und fuhr, nachdem wir noch ein paar letzte Tests gemacht hatten und zur Sicherheit auch noch zwei Kühlschläuche gewechselt hatten, wieder zurück in die Wohnung.

Sinas Mutter hatte bereits (mal wieder) ein unglaublich leckeres Essen gekocht, die kulinarische Verwöhnung im Iran sollte einfach kein Ende finden.

In den nächsten Tagen erkundete ich Tehran und erhielt dabei Begleitung von Francesca, einer Italienerin die ebenfalls bei Sina übernachtete.

Tabiat-Brücke, Nord-Tehran

Wir gingen auf die Tehraner Basare, betrachteten die malerische Tabiat-Brücke in der Dämmerung und genossen die Atmosphäre in den zahlreichen Parks. Wir spazierten viel durch die Stadt, unter Anderem auch an der ehemaligen US-amerikanischen Botschaft vorbei, die 1979 im Zuge der islamischen Revolution von Studenten besetzt wurde, was letztendlich zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und dem Iran sowie den ersten Sanktionen führte. Heute ist die Botschaft eine Art Museum, welches zeigen soll, wie „fürchterlich“ Amerika doch ist — eine rein pro-iranische Propaganda-Einrichtung, was auch die antiamerikanischen Graffitis auf der Außenmauer bezeugen.

An der ehemaligen US-Botschaft

Tehran ist eine laute, volle Stadt, der Verkehr scheint keiner genauen Ordnung zu folgen; Fahrspuren existieren quasi nicht, jeder möchte (mal wieder) überall der Erste sein und macht dies durch eine entsprechend offensive Fahrweise und lautstarkes Gehupe deutlich.

Auch gerade deswegen empfiehlt sich eigentlich die Metro, wobei auch diese zu den Stoßzeiten sehr voll werden kann und zu unangenehmen Situationen; auch deswegen gibt es ein Abteil in jedem Zug, welches ausschließlich Frauen vorbehalten ist.


Metro-Gleis

Einmal war die Metro dermaßen voll, dass die Einsteigenden drückten, um überhaupt noch in den Zug zu kommen. Ich fühlte mich sehr unwohl dabei und bekam zum ersten Mal ein sehr großes Unbehaglichkeits-Gefühl, in dem Moment haben mich die Leute um mich herum unglaublich genervt. Ich war ein paar Stunden danach immer noch etwas getroffen und wollte so schnell wie möglich nach Hause. Mit ging es nicht wirklich gut ich war einfach sauer auf die Stadt, auf die Leute, einfach auf alles. Zum Glück legte sich dieses Gefühl später wieder, offenbart es doch aber auch die persönlichen Grenzen.

Wenn man offensichtlich als Ausländer zu erkennen ist (nicht unbedingt an der Kleidung, sondern eher am Aussehen), wird man im Iran regelmäßig auf der Straße angesprochen. Sie probieren dann gerne ihre Englischkenntnisse aus, stellen sich vor, fragen interessiert und bieten ab und an ihre Hilfe an, wie zuvor bereits erklärt. Einige grüßen auch einfach nur auf Englisch oder winken einem freudig zu.

Ich finde das ganze eigentlich super, denn so fühlt man sich doch etwas willkommener und freut sich über das Interesse der Menschen an den Reisenden — was wohl auch daran liegen mag, dass es noch nicht allzu viele ausländische Touristen im Iran gibt.

So schön und gut das Ganze auch ist und so sehr ich es auch begrüße, dass man nicht ignoriert wird: Mich persönlich hat es ab einem bestimmten Punkt angefangen zu stören. „Stören“ ist hierbei das falsche Wort, „genervt“ hat es mich auch nicht, aber man möchte ab und an auch einfach mal seine Ruhe haben, einfach mal ungestört durch den Park, die Stadt laufen oder mal für ein paar Minuten auf einer Bank dasitzen und entspannen und eben nicht ständig angesprochen werden und dieselben Fragen zum hundertsten Mal beantworten. Im Restaurant oder beim Einkaufen stört es mich überhaupt nicht, weil es dann Part der Konversation ist, aber wildfremde Menschen mitten auf der Straße? Und dann ungelogen alle 5 Minuten?

Das mag jetzt vielleicht ein wenig eingebildet und undankbar klingen, aber dies ist meine persönliche Empfindung. Ich möchte mich hiermit nicht über die iranische Gastfreundschaft o.Ä. beklagen, im Gegenteil, ich bin ein großer Fan der iranischen Kultur — aber ich möchte alle Seiten darstellen, und dazu gehört eben auch die Neugier der Iraner.

Irgendwann ist bei mir eine persönliche Grenze erreicht und ich merke, wie sich meine Stimmung ändert, wenn diese überschritten wird.

Ein weiteres iranisches Ding ist der „Taroof“: Hierbei wird einem von einer anderen Person angeboten (mit der man sich z.B. vorher unterhalten hat), dass sie das Taxi zahle, das Essen zahle oder einen sonstigen Gefallen tue. Hierbei ist das in den meisten Fällen nicht ernst gemeint, sondern Teil der Höflichkeitskultur. Man sollte das Angebot (so toll es auch klingen mag) ablehnen. Der Gegenüber mag dann darauf bestehen, sein Angebot zu erfüllen.
Man sollte dann solange ablehnen, bis der Gegenüber „aufgibt“ oder man sich sicher sein kann, dass die Person es wirklich Ernst meint — ansonsten bringt man den Anderen in z.T. sehr unangenehme Situationen oder er bezahlt etwas, wofür er eigentlich gar kein Geld übrighat. Man kann teilweise die Erleichterung am Gesicht ablesen, wenn man ablehnt

Es erfordert ein bisschen Zeit und Fingerspitzengefühl zu erkennen, welche Intention denn nun verfolgt wird — im Notfall kann man auch einfach nachfragen. Mich hat auch das ab einem gewissen Punkt genervt. Ja, es ist die Tradition, aber es kann doch irgendwie nicht Sinn der Sache sein, dass es aus Zwang geschieht? Auch hier wieder: Dies ist meine persönliche Meinung, ich plädiere auch hier auf das Bilden einer eigenen ebensolchen!

Tajrish-Moschee, Tehran


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